Mittlerweile haben etwa zwei Drittel der Schulen in Deutschland einen Förderverein – Tendenz steigend. Die Vereine springen ein, wenn der Staat nicht helfen kann oder will. Selten geht es dabei um den Neubau der Turnhalle, eher sind es Anschaffungen wie Laptops und Tablets, Klettergerüste und Spielkisten oder Bücher für die Bibliothek. Also all das, was die Schule zu einem Ort macht, an dem man gerne lernt. Allerdings: Nicht überall haben die Eltern gut gefüllte Bankkonten. Am Ende zementiert der Förderboom der vergangenen Jahrzehnte die bestehenden Ungleichheiten im Schulsystem.
„Eine Schule ohne Förderverein ist wie ein Körper mit fehlendem Gliedmaß”
Andreas Kessel
Für die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands sind Fördervereine vor allem ein „Qualitätssiegel”, um das Image der Schule aufzupolieren. Das Problem: „Die Spreizung wird noch größer”, sagt Simone Fleischmann. „Ich erlebe, dass elitäre Fördervereine ihre Eliteschule nochmal elitärer machen.” Eine gefährliche Entwicklung – vor allem, wenn der Staat zu langsam arbeitet, wie bei den Luftfiltern. Denn dann werden öffentliche Aufgaben de facto privatisiert.
Mittlerweile hat er mehr als hundert Fördervereine mitgegründet, so viele wie wohl kein anderer. Dafür reist Kessel durch ganz Deutschland – von Schule zu Schule, als stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Schul- und Kitafördervereine. Eine Schule ohne Förderverein ist für ihn wie ein „Körper mit fehlendem Gliedmaß”. Ungerechtigkeiten zwischen den Vereinen sieht er nicht, schließlich kümmerten sich die meist sowieso eher um Kleinigkeiten – „Bonbons” wie er sagt.
Ein besonders großes Bonbon findet sich auf dem Dachboden des alten Schulgebäudes. In deckenhohen Regalen stehen hier, feinsäuberlich aufgereiht, Skischuhe, Schneeanzüge und Skier. Ausrüstungen für mehr als hundert Kinder hat Kessel über die Jahre aus Spenden zusammengetragen. An seiner Schule kämen viele Schüler:innen aus Familien, die sich ohne den Förderverein keine Skifreizeit leisten könnten. Am Geld, betont Kessel, müsse dennoch kein Förderverein scheitern. Stiftungen, Unternehmen und Wettbewerbe – es gäbe genug Wege, Spenden aufzutreiben, auch für ärmere Schulen.
Das Engagement nicht ersticken
Allerdings verfügen Eltern mit Uni-Abschluss eher über das Wissen und die Kontakte, um Geld zu besorgen, Anträge zu schreiben und Vereinsmitglieder zu werben. „Netzwerkeffekt” nennt Kai Maaz dieses Phänomen. Es helfe, so der Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung, wenn im Vereinsvorstand ein Banker, ein Anwalt und ein Steuerberater sitzen, so wie am Lessing-Gymnasium. Kontakte haben sich auch an einem Mainzer Gymnasium bezahlt gemacht, wo es einer Elterninitiative bereits Anfang Juni gelungen ist, Impfdosen zu organisieren – ganz exklusiv.
Bisher, so Maaz, gebe es keine Daten zur Wirkung von Fördervereinen im Schulsystem. Er hält es jedoch für plausibel, dass die Vereine „ungleichheitsfördernde” Effekte haben könnten. Funktionierendes Engagement dürfe deshalb aber nicht erstickt werden. Stattdessen müssten diejenigen Schulen zusätzlich gefördert werden, an denen es noch keine Fördervereine gibt.
Auf eine Anfrage an alle 16 Bildungsministerien melden sich nur zehn. Die Antworten offenbaren: Die Politik interessiert sich nicht sonderlich für Fördervereine. Wie viel Geld private Initiativen vor Ort in die Schulen stecken, werde nicht erfasst. Einzig der thüringische Bildungsminister Helmut Holter von den Linken betont, „dass finanzkräftige Schulfördervereine mehr leisten können als Schulfördervereine aus Gemeinden mit wirtschaftlichen Problemen.”
Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, kritisiert die Ministerien: „Es wird einfach nicht hingeguckt, wo Ungleichheiten entstehen” – solange der Schulbetrieb läuft. Dass Fördervereine boomen, überrascht die Gewerkschafterin nicht: “Seit etwa 20 Jahren wird immer deutlicher, dass Bildung unterfinanziert ist”, sagt sie und verweist auf Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wonach sich der Investitionsstau bei Schulgebäuden mittlerweile auf 46,5 Milliarden Euro summiert. Es seien diese sichtbaren Missstände, die Eltern dazu bewegen, sich an den Schulen einzubringen.
Am Frankfurter Lessing-Gymnasium kommt der Physiklehrer Norbert Stützle ohne den Förderverein nicht mehr aus. Gerade in den Naturwissenschaften, mit den vielen teuren Messgeräten, sei der Etat immer zu klein. Er steht in einem der modernen Klassenräume, vor ihm ist ein Glaskolben aufgebaut. Das Fadenstrahlrohr, wie es in der Physik heißt, hat der Förderverein für satte 7500 Euro angeschafft. „Eine ganz, ganz tolle Sache”, sagt Stützle. Endlich kann er seinen Schüler:innen zeigen, wie sich winzig kleine Elektronen bewegen. Es sei ein Experiment, das „jeder Schüler mal gesehen haben muss” – aber längst nicht jeder sehen wird.