Geld macht Schule

Ein Tablet hier, ein Luftfilter da – Fördervereine erfüllen Schulen viele Wünsche. Sie springen ein, wenn der Staat nicht helfen kann oder will. Schulen ohne reiche Eltern bleiben auf der Strecke.

Von Moritz Baumann und Leonard Scharfenberg

Foto: Moritz Baumann

Frank Jockers steht vor einem der unscheinbaren weißen Kästen, über die gerade ganz Deutschland diskutiert. Einmal auf die blau-blinkenden Knöpfe gedrückt und der Luftfilter brummt los. „Eine großartige Sache”, schwärmt er.

Die Pandemie hat das Klassenzimmer zur Gefahrenzone gemacht: viele Kinder, wenig Platz, stickige Luft. Noch immer stehen an vielen Schulen keine Luftfilter bereit, zu langsam arbeitet die Bürokratie. Die Eltern am Frankfurter Lessing-Gymnasium legten deshalb zusammen. Innerhalb weniger Monate schafften sie Geräte für 30.000 Euro an. Im Herbst könne das der „entscheidende Vorteil” sein, sagt Jockers – Steuerberater, ordentlicher Hemdkragen, Gel im Haar.  Seit sieben Jahren engagiert er sich im Förderverein am Lessing-Gymnasium, der dem Schulleiter, so Jockers, „fast jeden Wunsch” erfüllen kann.

Mittlerweile haben etwa zwei Drittel der Schulen in Deutschland einen Förderverein – Tendenz steigend. Die Vereine springen ein, wenn der Staat nicht helfen kann oder will. Selten geht es dabei um den Neubau der Turnhalle, eher sind es Anschaffungen wie Laptops und Tablets, Klettergerüste und Spielkisten oder Bücher für die Bibliothek. Also all das, was die Schule zu einem Ort macht, an dem man gerne lernt. Allerdings: Nicht überall haben die Eltern gut gefüllte Bankkonten. Am Ende zementiert der Förderboom der vergangenen Jahrzehnte die bestehenden Ungleichheiten im Schulsystem.

„Eine Schule ohne Förderverein ist wie ein Körper mit fehlendem Gliedmaß”

Andreas Kessel

Für die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands sind Fördervereine vor allem ein „Qualitätssiegel”, um das Image der Schule aufzupolieren. Das Problem: „Die Spreizung wird noch größer”, sagt Simone Fleischmann. „Ich erlebe, dass elitäre Fördervereine ihre Eliteschule nochmal elitärer machen.” Eine gefährliche Entwicklung – vor allem, wenn der Staat zu langsam arbeitet, wie bei den Luftfiltern. Denn dann werden öffentliche Aufgaben de facto privatisiert.

Foto: Leonard Scharfenberg

In Berlin-Reinickendorf schlendert Andreas Kessel durch den Obstgarten der Stötzner-Schule, bis er vor einem großen Walnussbaum stehen bleibt. Den habe er vor 20 Jahren als Setzling mit an die Förderschule gebracht, erzählt der pensionierte Lehrer. Der Pausenhof sei damals noch ein trister Schotterplatz gewesen, mittlerweile wirkt er wie ein Paradies für Kinder – mit Klettergerüst, Waldpavillon und Fahrradwerkstatt. Das Geld dafür kommt nicht von reichen Eltern, denn die gibt es an der Stötzner-Schule kaum. Der Förderverein, den Kessel damals aufgebaut hat, besteht fast ausschließlich aus Lehrer:innen.

Mittlerweile hat er mehr als hundert Fördervereine mitgegründet, so viele wie wohl kein anderer. Dafür reist Kessel durch ganz Deutschland – von Schule zu Schule, als stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Schul- und Kitafördervereine. Eine Schule ohne Förderverein ist für ihn wie ein „Körper mit fehlendem Gliedmaß”. Ungerechtigkeiten zwischen den Vereinen sieht er nicht, schließlich kümmerten sich die meist sowieso eher um Kleinigkeiten – „Bonbons” wie er sagt.

Andreas Kessel steht am Tor zum Schulgarten seiner ehemaligen Schule
Mittlerweile ist der Schulhof der Stötznerschule ein grünes Paradies. Foto: Leonard Scharfenberg

Ein besonders großes Bonbon findet sich auf dem Dachboden des alten Schulgebäudes. In deckenhohen Regalen stehen hier, feinsäuberlich aufgereiht, Skischuhe, Schneeanzüge und Skier. Ausrüstungen für mehr als hundert Kinder hat Kessel über die Jahre aus Spenden zusammengetragen. An seiner Schule kämen viele Schüler:innen aus Familien,  die sich ohne den Förderverein keine Skifreizeit leisten könnten. Am Geld, betont Kessel, müsse dennoch kein Förderverein scheitern. Stiftungen, Unternehmen und Wettbewerbe – es gäbe genug Wege, Spenden aufzutreiben, auch für ärmere Schulen.

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Illustration: Franziska Reeg

Das Engagement nicht ersticken

Allerdings verfügen Eltern mit Uni-Abschluss eher über das Wissen und die Kontakte, um Geld zu besorgen, Anträge zu schreiben und Vereinsmitglieder zu werben. „Netzwerkeffekt” nennt Kai Maaz dieses Phänomen. Es helfe, so der Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung, wenn im Vereinsvorstand ein Banker, ein Anwalt und ein Steuerberater sitzen, so wie am Lessing-Gymnasium. Kontakte haben sich auch an einem Mainzer Gymnasium bezahlt gemacht, wo es einer Elterninitiative bereits Anfang Juni gelungen ist, Impfdosen zu organisieren – ganz exklusiv.

Bisher, so Maaz, gebe es keine Daten zur Wirkung von Fördervereinen im Schulsystem. Er hält es jedoch für plausibel, dass die Vereine „ungleichheitsfördernde” Effekte haben könnten. Funktionierendes Engagement dürfe deshalb aber nicht erstickt werden. Stattdessen müssten diejenigen Schulen zusätzlich gefördert werden, an denen es noch keine Fördervereine gibt.

Foto: Moritz Baumann

Winfried Gintschel steht auf dem Pausenhof seiner Schule – eine große Asphaltfläche, einzelne begrünte Inseln, nicht unbedingt ein Spielparadies. Der Würzburger Mittelschul-Rektor versucht gar nicht erst, die Probleme an seiner Schule zu beschönigen: Der Pausenhof sei in „erbärmlichem Zustand”. An den Sitzecken ist die Holzverkleidung völlig morsch, mehrere Holzstelen sind ganz heraus gebrochen. Mindestens 40.000 Euro müssten investiert werden, sagt Gintschel. „Das kann ein Förderverein unserer Größe gar nicht leisten.”

Bei der Stadt kommt er nicht weiter und die Eltern seiner Schüler:innen, viele mit Migrationsgeschichte, haben oft zwei bis drei Jobs gleichzeitig. Das Interesse am Förderverein gehe gegen null, auch bei potenziellen Sponsoren: „Sie glauben gar nicht, wie viele Klinken ich schon geputzt habe”, erzählt Gintschel. Doch ohne Erfolg: eine Mittelschule wolle kaum einer unterstützen.

Auf eine Anfrage an alle 16 Bildungsministerien melden sich nur zehn. Die Antworten offenbaren: Die Politik interessiert sich nicht sonderlich für Fördervereine. Wie viel Geld private Initiativen vor Ort in die Schulen stecken, werde nicht erfasst. Einzig der thüringische Bildungsminister Helmut Holter von den Linken betont, „dass finanzkräftige Schulfördervereine mehr leisten können als Schulfördervereine aus Gemeinden mit wirtschaftlichen Problemen.” 

Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, kritisiert die Ministerien: „Es wird einfach nicht hingeguckt, wo Ungleichheiten entstehen” – solange der Schulbetrieb läuft. Dass Fördervereine boomen, überrascht die Gewerkschafterin nicht: “Seit etwa 20 Jahren wird immer deutlicher, dass Bildung unterfinanziert ist”, sagt sie und verweist auf Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wonach sich der Investitionsstau bei Schulgebäuden mittlerweile auf 46,5 Milliarden Euro summiert. Es seien diese sichtbaren Missstände, die Eltern dazu bewegen, sich an den Schulen einzubringen.

Am Frankfurter Lessing-Gymnasium kommt der Physiklehrer Norbert Stützle ohne den Förderverein nicht mehr aus. Gerade in den Naturwissenschaften, mit den vielen teuren Messgeräten, sei der Etat immer zu klein. Er steht in einem der modernen Klassenräume, vor ihm ist ein Glaskolben aufgebaut. Das Fadenstrahlrohr, wie es in der Physik heißt, hat der Förderverein für satte 7500 Euro angeschafft. „Eine ganz, ganz tolle Sache”, sagt Stützle. Endlich kann er seinen Schüler:innen zeigen, wie sich winzig kleine Elektronen bewegen. Es sei ein Experiment, das „jeder Schüler mal gesehen haben muss” – aber längst nicht jeder sehen wird.